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Was wahr ist

Machen wir ein Gedankenexperiment:

Stellen wir uns vor, es nur einen einzigen Menschen auf der Welt geben und dieser lebt auf einer großen Insel. Er war noch nie in Kontakt mit einem seinesgleichen, beherrscht aber zur Vereinfachung unseres Experiments ein paar „Standardfunktionen“ wie „Reden“.

Eines Tages stellt sich nun dieser Mensch auf eine Wiese mit dichtem, weichen, grünen Gras und schreit hinaus „Das, auf dem ich stehe, ist Wasser! Es ist hart und schwarz!“, danach folgt: „Und da drüben, wo ich herkomme ist Strand und Meer!“.

So, und jetzt? –Jetzt haben wir ein Problem. Der gute Herr auf der Insel behauptet Gras sei Wasser, grün wäre schwarz und hart sei weich. Überhaupt, ist das „Meer“ und der „Strand“, von dem er redet auch Meer und Strand? Oder redet er doch nur von einem Berg mit Höhlen?

Wir müssen uns also die Frage stellen, wer nun recht hat. Wir oder er. Oder doch beide Seiten? Liegen wir vielleicht alle im Unrecht? – Nun, beide haben recht.

Um das zu verstehen müssen wir uns aber kurz ansehen, was für mich Wahrheit ist, dann von ihr ist es hier abhängig, wer recht hat. Wahrheit ist in meinen Augen dem Wahren geschuldet, und hier greift ein ganz einfacher Satz meiner: Wahr ist alles bis man es widerlegt.

Das heißt, dass das, was wir als wahr bezeichnen irgendwann mal vielleicht einen Streit ausgelöst hat, der damit endete, dass der Mathematiker, der der Ansicht war, dass 5+5=10 ist dem Mathematiker der meinte das 4+5=10 ist den Schädel einschlug. Nicht die schönste Art etwas zu wiederlegen, aber in diesem imaginären Beispiel funktioniert sie einwandfrei. Bevor allerdings jemand 5+5=10 für sich beanspruchte, hatte der Mathematiker mit 4+5=10 vollkommen recht. Es ist doch erstaunlich, wie sich ein Zustand von wahr zu wahr ändern kann, nicht?

Eines der wohl erfolgreichsten Beispiele dafür, dass es mehrere Wahrheiten geben kann ist das Werk „1984“ von George Orwell („Big brother ist watching you!“). Hier wird in dem danach gedrehten Film (das Buch habe ich nicht gelesen) gegen Ende klar, dass Wahrheit unterschiedlich sein kann. Für alle, die das Werk nicht kennen:

In „1984“ geht es um eine Welt, in der die Bevölkerung unter ständiger Überwachung einer Partei von Menschen ist. Es heißt man wäre im Krieg und die Bevölkerung wird künstlich am Rande des Hungers gehalten. Der Begriff der Wahrheit ist hier entfernt ähnlich wie im Mathematikerbeisspiel: Die erwähnte Partie beschließt, was wahr ist und was nicht sowie was für wen wahr ist. Sie heißt es zum Volk es gäbe keinen Zucker. Für das Volk ist wird somit (u.a. auch mit der Zeit) die Tatsache, dass es keinen Zucker aufgrund des Krieges gibt wahr. Die besagte Partei jedoch hat Zucker, denn es gibt in Wahrheit eben doch Zucker ohne Ende. Nur das Volk hält dies für unwahr während die Partei die Wahrheit des Volkes dazu als unwahr betrachten. (Mit dem Detail, dass die Partie bestimmt, was für das Volk wahr ist und was nicht; auch wenn es für die Partei u.U. ganz anders ist.)

Es hängt somit, um das Ganze nach fast 500 Wörtern mal zu verallgemeinern, meiner Meinung nach von dem System ab, aus dem man einen boolischen Zustand betrachtet ab, ob er wahr oder falsch ist. Ist man alleine in einem System, ist alles als wahr aufzufassen. Ein falsch betrachteter Zustand (womit eine Unwahrheit entstehen würde) kann nur dann eintreten, wenn wahres widerlegt wird. Hierzu wird meiner, bisher noch nicht allzu reflektierten Meinung, ein weiterer Geist im selben System benötigt, welcher in der Lage ist, den Zustand gegenüber aller anderen Geister („uns“) in dem System zu verneinen.

 – Ein Gedanke von Felix M. Espert, 04.01.2018 (überarbeitet 12.02.2019)

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