Im Namen der Entfremdung
Menschen im Alter zwischen „Kind sein“ und „Erwachsen sein“ haben oft ein gemeinsames Problem. Es ist ein Wort aus fünf Zeichen und es handelt hierbei nicht um „Handy“, „X-BOX“ oder „Porno“. Obwohl, eigentlich schon, das letzte zumidnest. So irgendwie eben. Es handelt sich um die Entfremdung, die sie erleben oder noch immer verdauen müssen.
Fangen wir aber vorne an: Was ist unter Entfremdung zu verstehen?
Bei der Entfremdung wird ein gesellschaftlicher Zustand (meist eine Beziehung) gestört oder aufgelöst. Eine solche Entfremdung machen wir alle einmal mit (oder sollten wir), und zwar bezüglich unserer Eltern, meist besonders der Mutter gegenüber. Dieses Phänomen ist ganz einfach zu erklären (der Einfachheit orientieren wir uns nur an der Mutter – der Vater ist natürlich auch wichtig!): Die Mutter gehört zu den ersten Menschen, die ein firsch geborenes Kind sieht. Es ist die Mutter, die es säugt, die es umherträgt und im Kinderwagen schiebt. Es ist somit nicht verwunderlich, dass das Kind zur Mutter eine besondere Beziehung aufbaut. Die Mutter gibt dem Kind Schmatzer, sie liest im vor. Sie tröstet es, wenn es weinend nachhause kommt. Aber das Kind wird älter. Es fängt an, weniger mit seiner Mutter machen zu wollen. Es fängt an, seine Probleme seinen Freunden zu erzählen und sich bei seinen besten Freunden auszuheulen. Das Kind entfernt sich auf gesellschaftlicher Ebene also von der Mutter und von seiner Quelle für Liebe.
Das ist gut und auch biologisch begründbar. Würde das Kind sein Leben lang an der Mutter hängen bleiben, würde es nie anfangen, nach der „großen Liebe“ zu suchen um dann vielleicht sogar mit dieser eine eigene Familie zu gründen. Der Mensch würde kurzgesagt aussterben.
Das Entfremden von den Eltern hinterlässt in dem jungen Menschen ein Loch, dass wieder gefüllt werden möchte. Der Mensch beginnt also sich auf die Suche zu machen nach der oben genannten „großen Liebe“. Wäre das doch nur so einfach.
An dieser Stelle stoßen wir auf ein gesellschaftliches Problem: Verkramftheit.
Während in den 70iger und 80iger Jahren Dinge wie die Liebe doch sehr locker und frei gesehen wurde, scheint das Konzept der Liebe heute doch sehr verkramft zu sein – zumindest wenn es was ernstes werden soll.
Man ist sich in der Partnerwahl unsicher, den ersten Kuss gibt es frühstens nach dem dritten Date, man möchte unbedingt den haben, der optimal zu einem passt, er muss so und so groß sein, soll diese und jene Charakterzüge haben. Und er muss auf alle Ewigkeit treu sein. Und immer ehrlich. Und zuverlässig. Und romantisch. Oder auch nicht.
Ist das alles aber überhaupt notwendig? Würde es nicht auch einfacher gehen? – Es scheint nämlich durchaus so, wenn man sich einmal etwas ältere Beziehungen ansieht:
Viele Ehepartner/Partner der „älteren Generation“ (also jene, die jetzt zwischen 50 und 80+ Jahre auf dem Buckel haben) haben in der Regel ein oder zwei gemeinsame Hobbys, größtenteils unterschiedliche Interessen, usw. etc. pp. – und, halten ihre Beziehungen? – Ja! Sie halten wunderbar. Sie haben angenehm wenig Streit, viele von ihnen scheinen schon das halbe Leben miteinander zusammen zu sein! Und da soll mir einer kommen und sagen, dass der Erfolg einer Beziehung von den gemeinsamen Hobbys abhängt.
Worauf es eigentlich ankommt: Man muss sich in den großen meinungstechnischen Punkten einig sein, man muss flexibel sein, man muss bereit sein, dem anderen auch mal entgegen zu kommen. Man muss einander lieben können, auch wenn er die AFD und man selbst die Linke wählt (etwas überspitzt, ich weiß)!
Und sollte es doch einmal zu einer Trennung kommen (was auch nichts besonders dramatisches ist), so dauert es meist nicht lange, bis das durch die Entfremdung des Partners hervorgerufene Gefühl anfängt wieder die Handlung zu übernehmen – man begibt sich auf die Suche nach einem neuen Partner. Es ist mir durchaus bewusst, dass dies ein schmerzhafter Prozess sein kann, aber ich so mutig zu behaupten, dass die meisten ihn bisher mehr als einmal überlebt haben.
Was lernen wir nun aus der Geschichte?
- Wir sollten im Namen der Entfremdung uns entkrampfen was dieses „Liebes“-Zeug angeht. Wir sollten anfangen, auch mal etwas zu wagen. Denn alles, was schiefgehen kann ist ersetzbar! Und wenn man denkt, dass man eine solche Person nie wieder haben wird, so werden einige Monate vergehen und die Welt sieht schon wieder ganz anders aus. Denn die Entfremdung ist nicht nur die, die uns erst leiden lässt, sie ist es auch, die uns wieder stark macht.
Lasst uns Liebe also enstpannter angehen. Gewinnen können wir das Spiel sowieso nicht, denn jede Beziehung wird eines Tages enden. Lasst es uns probieren, im Namen der Entfremdung!
-Ein weiterer Gedankengang von Felix M. Espert, 08.04.2019
Aus der Serie
„Auf der Suche nach dem roten Faden“
Teil IIV:
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